Bereits vor der Pandemie befand sich der stationäre Einzelhandel in einem Umwandlungsprozess mit negativer Tendenz: Verödete Innenstädte, sinkende Besucherfrequenzen, wachsender Wettbewerbs- und Preisdruck und anspruchsvolle Kund*innenbedürfnisse machen den Händler*innen das Leben schwer. Neuartige Store-Konzepte und eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen Städten und Einzelhandel sind dringend nötig, um Innenstädte für Konsument*innen wieder attraktiver zu machen. Eine aktuelle Studie des Consultingunternehmens FTI-Andersch beschäftigt sich mit Shopping-Konzepten der Zukunft und den Chancen für den stationären Handel. Sie identifiziert sieben Stossrichtungen, die zur Stabilisierung und zu nachhaltigem Erfolg führen:
- Digitale In-store-Erlebnisse
- Flexible Anpassung an Trends
- Individualisierung und Ko-Kreation
- Nachhaltigkeit
- Omni-Channel-Integration
- Digitale Infrastruktur
- Markenbildung
In diesem und den kommenden Blogbeiträgen, werde ich die genannten Erfolgsfaktoren genau betrachten und vertiefen.
Online und Offline – miteinander, nicht gegeneinander.
Aus den vergangenen Monaten wissen wir, dass vor allem jüngere Verbraucher*innen ihr Kaufverhalten in der Pandemie verändert haben. Der stationäre Einzelhandel muss besonders diese kaufkräftige Generation Z wieder zurückgewinnen. Die Kombination aus physischem Aufenthalt in einem Geschäft plus digitalen Elementen könnte ein Weg zum Erfolg sein, um die (jungen) Menschen zurück in die Innenstädte und Shoppingcenter zu locken. Denn es gibt durchaus Aspekte, die viele beim Online-Shoppen vermissen: das Produkt anfassen oder anprobieren zu können und eine fachkundige Beratung. Der Schlüsselfaktor für den Erfolg des Einzelhandels lautet also: Connected Shopping. Online und Offline – miteinander, nicht gegeneinander.
Beispiele aus der Praxis
Digitale In-store-Erlebnisse steigern die Attraktivität Ihres Geschäfts. Doch wie kann das in der Praxis aussehen? Hier einige Ideen:
- Digitale Bezahlsysteme, die lange Warteschlangen zur Vergangenheit machen (amazon zeigt, wie es geht, in seinen amazon go-Shops in den USA)
- Online abrufbare Bestandsinformationen zur Verfügbarkeit von Produkten
- Intelligente Erkennung der Kund*innen mittels digitaler Kund*innenkarte
- In-store-Navigation zu den gesuchten Produkten
- Intelligente Spiegel (Smart Mirror) und Apps zum virtuellen An- bzw. Ausprobieren von Kleidung oder Make-up (bieten zum Beispiel Clinique und Estée Lauder an)
- Social-Retail-Erlebnisse: Mit einem benutzerdefinierten Miniprogramm, das einer App ähnelt, können Kund*innen Termine im Geschäft und Artikel zum Anprobieren buchen, den Kund*innenservice kontaktieren, sich über neue Produkte und exklusive Inhalte informieren und eigene Inhalte teilen (Burberry führt einen entsprechenden Store in China)
- Digitale Installationen: Der Luxushändler LuisaViaRoma hat zum Beispiel sein Geschäft in Florenz in ein Unterwasserparadies verwandelt.
Digitale Lösungen dienen in erster Linie dazu, die Kund*innen enger an den stationären Handel zu binden. Händler*innen sollten ebenso die Chance nutzen, mit deren Hilfe Kund*inneninformationen zu sammeln und zu analysieren, um die Angebote zielgruppengerechter zu gestalten. Denn der grösste Mehrwert des stationären Einzelhandels ist der Vor-Ort-Service. Dabei geht es nicht nur um das selbstverständlich immer datenschutzkonforme Sammeln und Speichern von Kund*innendaten. Mit Hilfe der erfassten Daten könnten zum Beispiel Laufwege durch den Store analysiert und optimiert werden.
Connected-Shopping-Angebote stellen Einzelhändler*innen vor grosse Herausforderungen: zum «Out-of-the-box»-Denken kommen finanzielle Investitionen hinzu. Das geschieht nicht von heute auf morgen, sollte aber auf Sicht der kommenden 1 bis 2 Jahre gut geplant und umgesetzt werden.
Von Mensch zu Mensch
Ebenso wichtig ist aus meiner Sicht, in den zwischenmenschlichen Kund*innenkontakt, in die Kommunikation zu investieren. Sie haben sicher schon erlebt oder wissen von Ihrer Arbeit, dass eine Verkaufskraft darüber entscheiden kann, ob Kund*innen mit voller oder leerer Tasche das Geschäft verlassen. Kund*innen erwarten nicht nur den Smart Mirror, digitale Zahlungsmöglichkeiten, QR-Codes und App-Downloads. Sie erwarten einen «echten» Menschen vor Ort: eine*n Berater*in, eine*n Freund*in oder eine*n Coach*in. Eine Person, die kommunizieren kann. Von der Qualität dieses Kontakts hängt es ab, ob Kaufentscheidungen getroffen werden oder nicht, ob die Kund*innenbindung aktiv gestaltet wird oder nicht. Deshalb ist mein Plädoyer, unbedingt in die gezielte Auswahl und Schulung der Menschen am POS zu investieren. Denn sie sind die Psycholog*innen der Zukunft und ein entscheidender Wirtschaftsfaktor für den stationären Einzelhandel und damit auch für die Attraktivität der Innenstädte.