Vor ein paar Jahren habe ich den neuen Geschäftsführer eines Modekonzerns gefragt, was seine ersten Schritte in seiner neuen Position seien. Seine Antwort lautete: «Wenn alles so bleibt, wie es ist, dann habe ich mein Ziel erreicht». Schon damals fand ich diese Reaktion sehr befremdlich und heute weiss ich, dass dieses Unternehmen Insolvenz angemeldet und seine Marktführerschaft verloren hat. Der genannte Geschäftsführer sieht sich als Opfer, denn er hat aus seiner Sicht keine nachweislichen Fehler gemacht. Dass er mitverantwortlich für hunderte von Entlassungen sein könnte, kommt ihm nicht in den Sinn.

 

Dieses Beispiel zeigt, wie wichtig eine positive Fehlerkultur in Unternehmen ist. Es geht um den Umgang mit falschen Entscheidungen, Fehlschlägen, Irrtümern und Misserfolgen. Wo Menschen arbeiten, werden Fehler gemacht. Das macht uns Menschen aus. Wir sind keine unfehlbaren Roboter. Prozesse werden in unserer schnelllebigen und digitalisierten Arbeitswelt immer komplexer, Fehler sind kaum vermeidbar. Umso wichtiger wird das Konzept der positiven Fehlerkultur für erfolgreiche Unternehmen. Sie haben erkannt, dass Misserfolge Chancen bieten, an denen alle wachsen können.

 

Im Jahr 2019 zeigte eine Studie der Boston Consulting Group, dass neun von 10 Führungskräften eher zögerlich in ihren Entscheidungen sind. Woran liegt es, dass Führungskräfte so grosse Angst davor haben, zu handeln? «Die wenigsten Führungskräfte trauen sich, Verantwortung zu übernehmen. Die Angst, etwas falsch zu machen, ist enorm. Dabei behaupten viele Unternehmen, eine positive Fehlerkultur zu haben, das wird aber nicht gelebt», ist die traurige Erfahrung von Johanna Dahm, erfolgreiche Organisationsentwicklerin und Unternehmensberaterin. Die Frage drängt sich auf, ob es eine Lösung ist, ganze Führungsetagen auszutauschen. Wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen allerdings, dass es vier Generationen von Führungskräften benötigt, damit eine Systemänderung nachhaltig eintritt. Deshalb geht es darum, Systeme in Unternehmen in kleinen Schritten zu verändern. Und dafür bietet eine positive Fehlerkultur für jeden Einzelnen sowie dem ganzen Unternehmen eine hervorragende Chance. Das Schaffen einer neuen und zukunftsfähigen Unternehmenskultur ist heute eine wichtige Aufgabe von Führungskräften in allen Positionen. Eine Kultur, in der der Mut zu Fehlern gefördert wird. «Denn fehlender Mut und damit fehlende Entscheidungsfreude führen dazu, dass wichtige Projekte nie angegangen oder nicht zu Ende geführt werden. Mangelnde Entscheidungsfähigkeit führt ausserdem zu hoher Demotivation in der gesamten Belegschaft, da ihre Initiativen nicht berücksichtigt werden und in ihrem Unternehmen nichts vorangeht», so Johanna Dahm.

 

Innovationen sind erst dann möglich, wenn Mitarbeitende dazu ermutigt werden, Risiken einzugehen und neue Dinge auszuprobieren. Eine gute Fehlerkultur fördert ein kontinuierliches Lernumfeld, in dem die Mitarbeitenden den Raum bekommen, ihre Fehler zu erkennen, zu analysieren, aus ihnen zu lernen und ihre Fähigkeiten zu verbessern. Wenn Mitarbeitende sich sicher fühlen, auch wenn sie Fehler machen, steigt die Bereitschaft, sich zu engagieren und Verantwortung für ihre Arbeit zu übernehmen. Eine Kultur, die Fehler akzeptiert und eine offene Kommunikation fördert, schafft eine Atmosphäre, in der sich Teammitglieder dazu ermutigt fühlen, ihre Ideen und Bedenken mitzuteilen. Dies führt zu einer besseren Zusammenarbeit und zu der Fähigkeit, aus den Fehlern der anderen zu lernen. Ebenso hilft eine gute Fehlerkultur, schnell und effektiv auf Kundenbeschwerden und Feedback zu reagieren. Wenn Mitarbeitende Fehler erkennen und verstehen können, gehen sie eher transparent und ehrlich mit Kund:innen um, was zu mehr Vertrauen und Loyalität führen kann.

 

Das eben Gesagte lässt sich wunderbar auf den Tango übertragen. Hier gibt es grundsätzlich keine Fehler. Wenn das Gegenüber einen Impuls anders interpretiert oder einen Schritt macht, der so nicht geführt wurde, dann wird es erst richtig spannend. Denn nun ist Kreativität und Flexibilität gefragt. Wie gehe ich mit dieser neuen Situation um? Lasse ich mein Gegenüber einfach stehen? Reagiere ich mit Ärger und Sanktionen, sodass mein Gegenüber die Lust verliert, etwas Neues auszuprobieren? Den Mut und das Vertrauen in sich selbst und das gemeinsame Zusammenspiel aufgibt? Oder reagiere ich mit Humor und mache einen Schritt, um den Partner/die Partnerin wieder einzufangen und die Situation zu retten? Humor ist in jedem Fall eine geniale Art, eine Fehler- und Vertrauenskultur zu begünstigen. Egal ob beim Tango oder bei der Arbeit – gemeinsames Lachen fördert Innovation, Lust und Leidenschaft.

 

Wir alle kennen die Redensart «Irren ist menschlich». Wir machen jeden Tag Fehler, mal grosse, mal kleine, manchmal bewusst, häufig unbewusst. Versuchen Sie, sie nicht als Scheitern zu empfinden, sondern als eine grossartige Lernmöglichkeit. Wir sind sozialisiert, keine Fehler zu machen. Wir gehen ungern Risiken ein und verlassen unsere Komfortzone nur zögerlich. Aber unsere Misserfolge sind Wegweiser für unser Lernen und unser Wachstum als Menschen oder als Unternehmen.