Für Unternehmen ist die Implementierung von menschenrechtlichen und umweltbezogenen Sorgfaltspflichten im eigenen Unternehmen sowie in deren Lieferketten eine immer dringlichere Aufgabe, der sich mit ganzer Kraft zugewendet werden muss. Dies ist sowieso schon eine gewaltige Herausforderung, sind Unternehmen jedoch auch international tätig, sehen sie sich mit einer fast unüberschaubaren Anzahl von nationalen und internationalen  Gesetzgebungen und den vielfältigen Aspekten unterschiedlicher Interessengruppen weltweit konfrontiert. Hinzu kommt, dass ESG auch bei Finanzierungsfragen zunehmend eine Rolle spielen wird. Das Thema Nachhaltigkeit wird für viele Banken immer mehr Kriterium und Bewertungsgrundlage bei der Beurteilung von Unternehmen, das sich beispielsweise auf die Kreditvergabe auswirken kann.

 

Aber nicht nur Unternehmen sind in der Verantwortung, auch Konsument:innen müssen ihren Mindset ändern. Dies äusserte vor kurzem Marcus Engman, Chief Creative Officer der Ingka Group, IKEA Retail, auf dem London Design Festival und stiess damit erst einmal auf wenig Gegenliebe. Das Problem könne nicht einfach auf die Verbraucher:innen abgewälzt werden, so der Einwand. Was er aber deutlich machen wolle, sei: «Es reicht nicht aus, die Verbraucher zu kreislauforientierten Verhaltensweisen zu erziehen. Sie brauchen auch die Einrichtungen und die Infrastruktur, um sich tatsächlich kreislauforientiert zu verhalten. Anstatt also alte Möbel und Matratzen auf der Mülldeponie zu entsorgen, können die Kunden sie an uns zurückgeben, damit wir aus geringwertigen Abfällen neue Materialien herstellen. Wir bewegen uns auf eine Zukunft zu, in der Abfall das Rohmaterial ist», erklärte er.

 

Und damit hat er recht, wie eine repräsentative Studie des Wuppertal Instituts zeigt, die sich mit den Standpunkten von über 1’000 Bürger:innen zu Nachhaltigkeits-Themen beschäftigt. In den meisten Haushalten in Deutschland (88 Prozent) gibt es ungenutzte Produkte. 59 Prozent davon sind Kleidung, Schuhe und Accessoires. Sie werden am ehesten verschenkt (54 Prozent), jedoch fast genauso häufig entsorgt (51 Prozent). Der Hauptgrund für letzteres ist, dass den meisten der Aufwand für einen Verkauf zu hoch ist. Sie sagen aber auch, dass sie nicht wissen, über welchen Weg sie sich am besten davon trennen können. Zur besseren Wiederverwendung von Gebrauchtwaren wünschen sich die Befragten Reparatur-Netzwerke, damit Produkte länger genutzt werden können, die Abholung von Gebrauchtwaren von zu Hause, bessere Informationen über Annahmestellen oder die Erleichterung der Abgabe beziehungsweise Spende von Gebrauchtwaren. Nur ein Fünftel der Befragten spendete in den vergangenen 12 Monaten gebrauchsfähige Produkte. Die wichtigste Voraussetzung für die Spender:innen ist, dass die Produkte zu fairen Preisen verkauft oder an Bedürftige abgegeben werden. Der Umwelt zuliebe würde rund die Hälfte der Befragten öfter gebraucht kaufen.

 

Viele Unternehmen beginnen ernsthaft damit, Strategien zur Erzielung von Kreislaufwirtschaftsergebnissen umzusetzen oder bieten dabei Unterstützung an. Ich möchte nur einige Beispiele herausgreifen, die deutlich machen, wie viele verschiedene Möglichkeiten es gibt.

 

OEKO-TEX®  hat eine neue OEKO-TEX® RESPONSIBLE BUSINESS Zertifizierung eingeführt, mit der es Marken, Markengruppen, Einzelhändler:innen und Händler:innen der Textil- und Lederbranche bei der Umsetzung der vielfältigen Herausforderungen unterstützen möchte. Teilnehmende Unternehmen können dabei zwischen einer Bewertung des Due-Diligence-Status ihres Unternehmens durch ein Selbstbewertungstool oder einer Zertifizierung zur Validierung der durch die Selbstbewertung gewonnenen Informationen wählen. OEKO-TEX® greift dafür auf eine Vielzahl internationaler Richtlinien, allen voran den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen mit zusätzlichem Fokus auf Klimaschutz, zurück.

 

Um die Textil- und Modeunternehmen bei der Wahrnehmung ihrer sozialen, ökologischen und ethischen Verantwortung entlang ihrer Lieferketten zu unterstützen, geben Handel und Industrie erstmalig einen gemeinsamen Verhaltenskodex für verantwortungsbewusstes unternehmerisches Handeln in den Branchen der deutschen Textil- und Modewirtschaft heraus. Der Code of Conduct der deutschen Textil- und Modewirtschaft orientiert sich an international etablierten Massstäben und deckt die für die Branchen relevanten Verhaltensgrundsätze und -standards ab. Als freiwillige Selbstverpflichtung konzipiert, kann er von allen Unternehmen der Branche genutzt werden, unabhängig davon, ob sie Hersteller, Handels- oder Dienstleistungsunternehmen sind.

 

Der spanische Modekonzern Mango hat zuletzt bekanntgegeben, dass er in das spanische Textilverwertungsprojekt Recovo, eine Online-Plattform, die Textilreste weiterverkauft, investiert. Im Rahmen dieser Kooperation unterstützt Mango das Start-up bei der Skalierung des Geschäftsmodells und agiert als Mentor und Berater.

 

Doch auch vor der eigenen Haustür tut sich vieles. Beispielsweise produziert das Premium-Modelabel Muntagnard aus den Bündner Bergen nachhaltige Textilinnovationen für die Kreislaufwirtschaft, und das grundlegend anders. Ein grosser Fokus liegt auf Transparenz und Wissensvermittlung. Den Konsument:innen soll eine Entscheidungsgrundlage geboten und zusätzliche Informationen darüber geliefert werden, welche Bereiche als relevant erachtet werden, um nachhaltig zukunftsfähige Textilien herzustellen.

 

Unternehmen, die ihre Verantwortung nicht ernstnehmen oder Augenwischerei betreiben, sogenanntes Greenwashing, werden zurecht abgestraft. Das Fachmagazin Textilwirtschaft berichtete vor kurzem, dass die Filialisten H&M und Decathlon wegen irreführender Nachhaltigkeits-Kommunikation in ihren niederländischen Online-Shops eine Rüge erhielten. «Eine Untersuchung der dortigen Wettbewerbs- und Verbraucherschutzbehörde hatte einzelne Angaben als unklar und nicht ausreichend belegt eingestuft. Beide Unternehmen erklärten sich zur Verbesserung ihrer Informationen bereit und zahlen ‹für die Kompensation ihrer ungenügenden Angaben› 500.000 bzw. 400.000 Euro an nachhaltige Projekte.»

 

In Zeiten von hoher Inflation, drohenden Rezessionen und Rekord-Energiepreisen stehen alle vor grossen Herausforderungen. Überleben steht für viele Einzelhändler:innen derzeit an oberster Stelle. Zukunftsfähig sind jedoch mittelfristig nur diejenigen, die sich an die Rahmenbedingungen anpassen. Die Textilindustrie gehört zu den grössten CO2-Verursacherinnen, es muss ein Umdenken stattfinden. Vier Milliarden Tonnen CO2 jährlich – so hoch sind die Emissionen der globalen Textilindustrie. Das sind mehr als die des internationalen Flug- und Schiffsverkehrs zusammen. Die Pandemiejahre haben uns gezeigt, dass aus Krisen Chancen werden können, die ein hohes Mass an Kreativität und Innovationen freisetzen. Ich bin fest davon überzeugt, dass der Handel gemeinsam mit den Verbraucher:innen einen neuen Mindset schaffen kann, der uns in eine gesunde und lebenswerte Zukunft führt.