Wir leben in einer Zeit, in der nichts so bleibt, wie es ist. Ständig müssen wir neue Herausforderungen bewältigen. Die jahrelange Pandemie, die damit verbundenen Konsequenzen sowie der darauffolgende Krieg vor unserer Haustür haben schmerzlich deutlich gemacht, dass wir beweglich bleiben müssen – mental, psychisch und körperlich. Das gilt für den privaten Bereich ebenso wie für den Arbeitsplatz. In vielerlei Hinsicht wurden und werden wir weiterhin dazu gezwungen, unsere Komfortzone zu verlassen.

 

Die Komfortzone ist ein wunderbares Zuhause. Sie ist ein psychologischer Zustand, in dem sich eine Person wohlfühlt. Innerhalb der Komfortzone machen Menschen normalerweise keine neuen Erfahrungen und stellen sich keinen Herausforderungen. Menschen bleiben in ihrer Komfortzone, um Gefühle von Angst, Stress und Schmerz zu vermeiden. Alles, was ausserhalb der Komfortzone liegt, schafft Unsicherheit, und Unsicherheit schafft Angst.

 

Bedeutet das, dass Menschen, denen es «zu gut» geht, keine Motivation sehen, sich zu verändern oder neue Schritte zu gehen? Gibt es keine anderen Möglichkeiten als Schmerz, damit sich Menschen aus der Komfortzone bewegen? Tatsächlich stellten die Wissenschaftler Robert Yerkes und John Dodson zu Beginn des 20. Jahrhunderts in einem Experiment fest, dass es einen Zusammenhang zwischen Angst und Leistung gibt. Mäuse waren motivierter, Labyrinthe zu durchqueren, wenn sie Elektroschocks von zunehmender Intensität erhielten. Allerdings nur bis zu einem gewissen Punkt. Danach begannen sie, sich zu verstecken, anstatt zu arbeiten. Ein entsprechendes Verhalten wurde auch bei Menschen beobachtet. Das Yerkes-Dodson-Gesetz ist für alle Lebensbereiche gültig. Der Kerngedanke ist, dass unser Nervensystem auf Erregung reagiert: Zu wenig, und man bleibt in der Komfortzone. Zu viel, und man gerät in die Angstzone, was ebenfalls den Fortschritt bremst.

 

Wer in der Zone alter Gewohnheiten, Routinen, Sicherheit und Vorsehbarkeit verharrt, kann also kaum etwas dazu lernen, macht keine Fortschritte, bleibt unverwundbar und bietet keine Angriffsfläche.

 

Im Jahr 2019 zeigte eine Studie der Boston Consulting Group, dass neun von 10 Führungskräften eher zögerlich in ihren Entscheidungen sind. Könnte es sein, dass es in Chefetagen sehr viele Mitschwimmer:innen und Bewahrer:innen gibt, die sich neuen Einflüssen und Aufgaben nicht stellen können oder wollen? Woran liegt es denn, dass Führungskräfte so grosse Angst davor haben, zu handeln und damit Probleme zu lösen? «Die wenigsten Führungskräfte trauen sich, Verantwortung zu übernehmen. Die Angst, etwas falsch zu machen, ist enorm», ist die traurige Erfahrung von Johanna Dahm, erfolgreiche Organisationsentwicklerin und Unternehmensberaterin.

 

Das muss nicht sein. Die Psychologie zeigt, wer regelmässig seine Komfortzone verlässt, kann mit Erfolgserlebnissen rechnen. Menschen, die sich Herausforderungen stellen und Grenzen überwinden, entwickeln ein besseres Selbstwertgefühl und werden mit persönlichem Wachstum belohnt. Es erfordert Mut, aus der Komfortzone in die Angstzone zu gehen. Denn ohne einen klaren Fahrplan gibt es keine Möglichkeit, auf früheren Erfahrungen aufzubauen. Die Angst ist ein notwendiger Schritt auf dem Weg in die Lernzone. Sie ist – bis zu einem gewissen Grad – eine Antriebskraft, wie es das Experiment von Yerkes und Dodson zeigt. Erst dann kann die Lernzone erreicht werden, in der man neue Fähigkeiten erwirbt und lernt, mit Herausforderungen umzugehen. Daraufhin folgt die Wachstumszone, die sozusagen die «neue» Komfortzone ist. Dinge erhalten einen Sinn, Träume werden gelebt, Ziele verfolgt und neue gesetzt. Der Übergang von der Komfortzone zur Wachstumszone verläuft in der Realität nicht notwendigerweise linear. Es kann notwendig sein, sich erst wieder in die Komfortzone zurückzuziehen, um Kraft für die weiteren Aufgaben zu sammeln. Doch jeder gemachte Schritt hilft, Unsicherheit besser zu ertragen.

 

Das Verlassen der Komfortzone in Führungsetagen ist besonders wichtig, um Unternehmen erfolgreich in die Zukunft zu führen und die notwendigen Anpassungen und Veränderungen flexibel vorzunehmen. Mutige Führung bedeutet nicht waghalsiges Agieren, das Schmieden von irrwitzigen Plänen oder übersteigerte Selbstdarstellung. Es geht vielmehr um ganz konkretes, zielgerichtetes Handeln, damit gute Lösungen für das Unternehmen und die Mitarbeitenden gefunden werden können.

 

Eine neue und zukunftsfähige Unternehmenskultur ist heute eine wichtige Aufgabe von Inhaber:innen, Vorständ:innen und Führungskräften. Eine Kultur, in der Menschen dazu ermutigt werden, aktiv Teil des Ganzen zu sein. «Denn fehlender Mut und damit fehlende Entscheidungsfreude führen dazu, dass wichtige Projekte nie angegangen oder nicht zu Ende geführt werden. Mangelnde Entscheidungsfähigkeit führt ausserdem zu hoher Demotivation in der gesamten Belegschaft, da ihre Initiativen nicht berücksichtigt werden und in ihrem Unternehmen nichts vorangeht», so Johanna Dahm. Welches Unternehmen möchte es ernsthaft darauf ankommen lassen?

 

In den Blogbeiträgen der kommenden Monate, werde ich verschiedene Aspekte beleuchten, die dabei helfen, die Komfortzone hinter sich zu lassen und eine neue Führungs- und  Unternehmenskultur zu schaffen:

  • Werden Sie sich über den eigenen Mindset und Ihre Wirkungskompetenz bewusst
  • Es ist in Ordnung, Fehler zu machen, wenn Sie Vertrauen in sich und andere haben
  • Kommunikation ist keine Einbahnstrasse: Es geht um richtiges Zuhören, Senden, Empfangen und Impulse setzen
  • Eine positive Grundhaltung hilft uns, gemeinsam mit anderen Grosses zu erreichen
  • Sind hierarchische Strukturen noch zeitgemäss?